Dublin mit Ulysses entdecken

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Meine halbe Kindheit habe ich mit dem Lesen von Büchern verbracht und bin in Geschichten versunken. Ich habe mir ferne Orte und verrückte Charaktere vorgestellt und meiner Fantasie freien Lauf gelassen. Als Kind habe ich mir beispielsweise vorgestellt wie Hogwarts aussieht, noch lange bevor ich die Filme gesehen habe oder das erste Mal in London war. Als Teenager habe ich die Gossip Girl Romane gelesen und von der 5th Avenue geträumt, lange noch bevor ich sie in New York entlangspaziert bin.

Das Besondere an Büchern ist eben nicht nur der fesselnde Handlungsstrang, sondern auch der Film, der sich im Kopf abspielt, wenn man sich diese Geschichten vorstellt. Man weiß plötzlich genau wie die Protagonisten und wie die Orte aussehen, ist selbst Teil der Geschichte und schlüpft in die Rolle des Hauptprotagonisten.
Denn mal ehrlich: wer hat sich selbst nicht in den kuscheligen Sesseln am Kamin im Gryffindor Gemeinschaftsraum gesehen? Oder im dunklen Wald nach Mordor? Durch Bücher konnte ich schon in die verschiedensten Rollen schlüpfen und die Welt aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Für mich ist es jedes Mal ein Highlight, wenn ich einen real existierenden Ort besuche, den ich bereits aus einem der Bücher kannte und die Geschichte mit der Realität verschmilzt. Sei es ein Straßenname, ein Café oder eine bestimmte Sehenswürdigkeit – sofort fühle ich mich mit dem Ort verbunden und bin wieder in der Hauptrolle meiner Geschichte.

Als echter Bücherwurm habe ich mir deswegen zusammen mit Audible eine ganz besondere Challenge ausgedacht: Ich begebe mich auf die Suche nach realen Orten aus unterschiedlichen Hörbüchern. Wie sieht der Ort aus, wie fühlt es sich an, dort zu sein?

Den Anfang macht ein echter Klassiker: ULYSSES von James Joyce

Zugegeben – hier habe ich es mir ein bisschen einfach gemacht, denn der legendäre Roman lebt zu großen Teilen von den Orten, an denen er spielt. Wenn man nicht schon vorher Lust auf Dublin hatte, so bekommt man das spätestens durch James Joyce’s Romane, die dieser Stadt gewidmet sind. Umso schöner ist es auch zu sehen, wie sich diese Stadt wiederum James Joyce widmet und überall kleine Hinweise zu finden sind. Bei meiner Suche nach den Orten aus dem Roman habe ich mich deswegen wie ein kleiner Pfadfinder mit einer Schatzkarte gefühlt. Die Schatzkarte war in diesem Fall das Hörbuch.

Jetzt werdet ihr euch vielleicht denken, dass so ein langer Roman viel zu viel ist – zumindest ging es mir damals so mit dicken Klassikern, die schon bei ihrem Anblick ein wenig abschreckend aussahen. Wie sollte man das alles lesen? So ging es mir auf jeden Fall mit Ulysses – doch der Reiz blieb. Erst durch meine Audible Mitgliedschaft vor ein paar Jahren habe ich mich auch an die dicken Klassiker gewagt und siehe da – plötzlich wirken sie so gar nicht abschreckend, sondern viel mehr einladend. Durch Audible habe ich einen vollkommen neuen Zugang zu Klassikern bekommen und Bücher gehört, die ich mir sonst vermutlich niemals durchgelesen hätte. Doch bei einem Hörbuch, das 40 Stunden dauert ist, es ein bisschen wie mit einer Serie – je mehr Staffeln es gibt, desto geneigter bin ich sie anzuschauen, weil ich dann weiß, dass das Ende noch in weiter Ferne liegt. Wer also so richtig tief in eine Geschichte eintauchen möchte, ist bei Ulysses genau richtig. 

Hauptprotagonist ist Leopold Bloom, den man einen Tag lang, genauer: dem 16. Juni 1904, bei einem Spaziergang durch Dublin begleitet und an seinen Gedanken und Eindrücken teilnimmt. Man begegnet dabei allerhand Nebenfiguren, deren Gedankenschnipsel man ebenfalls liest. Das Besondere an Ulysses ist einerseits der beiläufige Charakter und gleichzeitig die Nähe zu den einzelnen Personen, weil man das Gefühl hat, dass man ihnen in den Kopf schauen kann. In Ulysses sind so viele Besonderheiten versteckt, vor allem sprachlicher Natur, dass es nicht langweilig wird, obwohl die Handlung ja nur den Alltag eines Menschen abbildet. Trotzdem schafft es Joyce eine unheimliche Nähe zur Geschichte aufzubauen, sodass man selbst Teil dessen wird. Deswegen war der Reiz besonders groß, einige Orte selbst zu besuchen und eine kleine Zeitreise zu unternehmen. 

“Ich möchte ein Abbild von Dublin erschaffen, so vollständig, dass, wenn die Stadt eines Tages plötzlich vom Erdboden verschwände, sie aus meinem Buch heraus vollständig wieder aufgebaut werden könnte” 

James Joyce

So machte ich mich also auf den Weg, besuchte Sweny’s Apotheke, die eine Art Ulysses Museum geworden ist (inkl. der legendären Zitronenseife), spazierte den Bachelor’s Walk entlang über die O’Connell Brücke, Richtung Nationalbibliothek. Ich lief durch die Merchant’s Arch, besuchte das Gelände des Trinity Colleges und wollte mich eigentlich noch ins Davy Byrnes setzen, doch dort war es zu voll. Doch es sind nicht nur die einzelnen Orte, die es mir angetan haben, sondern auch der Weg an sich. Durch die Straßen von Dublin zu laufen, durch die nicht nur James Joyce, sondern auch mein Lieblingsautor Oscar Wilde einst gelaufen ist, hat die Geschichten noch mal greifbarer gemacht. Doch nicht nur an den einzelnen Orten sind Hinweise versteckt, auch im St. Stephens Green Park steht eine Büste und schaut raus auf den Park direkt auf das MoLi, das Museum of Literature Ireland, das nicht zu wenigen Teilen James Joyce und Ulysses gewidmet ist. Nicht zuletzt liegt dort das allererste Exemplar!

Lust auf Dublin und Ulysses bekommen? Ihr findet den Klassiker hier auf Audible.

Sweny’s Apotheke
“Das Schönheitswasser, lieber gleich fertigmachen lassen. Wo ist das doch? Ah ja, wie letztes Mal. Sweny am Lincoln Place. Drogisten ziehn selten um. […] Er wartete vor dem Tresen, den scharfen Ruch der Drogen einatmend, den staubig trockenen Duft von Schwämmen und Luffas. Unglaublich viel Zeit eigentlich, die man so damit zubringt, seine Wehwehchen zu erzählen. […] Ich komme im Lauf des Tages wieder vorbei, und dann möchte ich noch eine von diesen Seifen mitnehmen. Was kosten sie?
– Vier Pence, Sir.
Mr. Bloom hob ein Stück an seine Nüstern. Süßes zitroniges Wachs.
– Ich nehme dies hier, sagte er. Das macht dann drei und einen Penny.
– Jawohl, Sir, sagte der Drogist. Sie können dann alles zusammen bezahlen, Sir, wenn Sie wiederkommen.
– Gut, sagte Mr. Bloom.
Er schlenderte aus dem Laden, den Zeitungsstab unter der Achsel, die kühlverpackte Seife in der linken Hand.”

Die O’Connell Brücke
“Als er den Fuß auf die O’Connell Bridge setzte, puffte ein Federball aus Rauch von der Brüstung auf. Brauereischutt mit Export-Stout. England. Von Seeluft wirds sauer, hab ich mal gehört. Wäre doch interessant, mal die Brauerei zu besichtigen eines Tages, Freischein vielleicht durch Hancock. Ist ja glatt eine Welt für sich. Die Porter-Kufen, wundervoll. Aber da kommen auch Ratten rein.”
“Auf der O’Connell Bridge bemerkten viele Personen das gravitätische Gehaben und die heitere Gewandung von Mr. Denis J. Maginni, Professor der Tanzkunst.
Mr. Bloom, allein, sah sich die Titel an. Schöne Tyrannen von James Lovebirch. Kenne die Sorte. Hab ich das schon mal gehabt? Ja. Er schlug es auf. Dachtes mir doch.”

Der Bachelors Walk
“Bloom aß mit Goulding, aß, vermählt in Schweigen. Essen wie für einen Fürsten. Über den Bachelor’s Walk klippklapperte klingelnd Blazes Boylan, Junggeselle, in Sonne, in Hitze, der Mähre glänzender Steiß in Trab, mit Peitschenknall, auf prallenden Reifen: hingerekelt, warmgesetzt, boylende Ungeduld, kochglühendfrech. Ständer. Hat man’n? Ständer. Hat man’n?

Trinity College
“Der beste Moment, so einen anzugreifen, ist die Pudding-Zeit, nach dem Essen. Einen Punch auf seinen Futtersack. Ein Trupp anderer Polizisten umrundete, ohne Tritt marsch, das Trinity- Geländer, auf dem Weg zur Wache. Drängen zu den Trögen. Fertigmachen zum Abendmahlsempfang. Fertigmachen zum Suppefassen.”

“Sein Lächeln verblaßte, als er weiterging, eine schwere Wolke verdeckte langsam die Sonne, verschattete die verdrießliche Front des Trinity. Straßenbahnen fuhren aneinander vorbei, einlaufend, auslaufend, klirrend.”
“Almidano Artifoni hielt einen Taktstock aus gerollter Musik wie ein Signal in die Höhe und trottete auf stämmigen Hosen hinter der Dalkey-Straßenbahn her. Umsonst trottete er, umsonst signalisierend inmitten der Rotte von barknieigen Schotten, die Musikgeräte durch Trinity-Tore schmuggelten.”
“Nur hielt ihn sein Vater jetzt abends dauernd zu Hause, wo er stramm studieren mußte, um bei der Zwischenprüfung, die gerade lief, ein Stipendium zu kriegen, weil er dann nämlich aufs Trinity College wollte und Doktor werden, wenn er mit der Schule fertig war, wie sein Bruder W. E. Wylie, der bei den Fahrradrennen der Trinity College-Universität mitfuhr.”

Merchant’s Arch
“Eine dunkelrückige Gestalt stöberte unter dem Merchant’s Arch in Büchern auf dem Karren des fliegenden Händlers.
– Gewiß, Sir. Ist es in der Stadt?
– Oh ja, sagte Blazes Boylan. Zehn Minuten.
Das blonde Mädchen reichte ihm Adreßzettel und Bleistift.
– Wollen Sie bitte die Adresse aufschreiben, Sir?
Blazes Boylan schrieb am Ladentisch und schob ihr den Zettel zu.”

“Mr. Bloom wandte müßig Seiten der Furchtbaren Enthüllungen von Maria Monk um, dann von Aristoteles’ Meisterwerk. Schlampiger pfuscherhafter Druck.”

Davy Byrne’s
“Er betrat das Davy Byrne’s. Anständiges Lokal. Kein Schwätzer, der Wirt. Gibt manchmal sogar einen aus. Aber nur wenn Schaltjahr, alle vier einmal. Hat mal einen Scheck kassiert für mich.[…] Davy Byrne kam aus der Hinterbar in faltabgenähten Hemdsärmeln, sich mit zwei Wischern seiner Serviette die Lippen säubernd. Heringsröte. […]
Mr. Bloom verzehrte seine Sandwich-Streifen, das frische saubere Brot, mit einem wohligen Anflug von Ekel: der beißende scharfe Senf, der fußige Geruch von grünem Käse. Nippschlückchen Wein streichelten seinen Gaumen. Kein Surius das. Schmeckt süffiger bei diesem Wetter, wenn die Kälte raus ist. Nette ruhige Bar. Nette Holzarbeit, die Theke. Nett planiert. Gefällt mir, wie sie gekurvt ist da.”

Nationalbibliothek
“Er stand an der Kreuzung Fleet Street. Lunch-Pause, fürn Sixpenny bei Rowe? Muß die Annonce in der Nationalbibliothek noch nachsehen. Im Burton kostets acht Pence. Besser. Liegt auch am Weg.”

“Mr. Bloom kam zur Kildare Street. Zuerst muß ich noch in die Bibliothek.[…] Das ist doch. Das ist doch. Sein Herz poppte weich. Nach rechts. Das Museum. Göttinnen. Er schwenkte nach rechts. Ist es? Fast sicher. Lieber nicht hinsehn. Hab Wein im Gesicht. Wieso hab ich bloß? Zu schwer, steigt zu Kopfe. Ja, es ist. Der Gang. Nicht hinsehn. Nicht hinsehn. Weiter.
Während er mit langen stürmischen Schritten dem Museum zustrebte, hob er die Augen. Hübsches Gebäude. Sir Thomas Deane entworfen. […] Seine niedergeschlagenen Augen folgten der stummen Äderung der eichenen Tischplatte. Schönheit: immer gekurvt, ja, Kurven sind Schönheit. Wohlgestaltete Göttinnen, Venus, Juno: Kurven, die die Welt bewundert. Sehe sie vor mir, Bibliothek, Museum, wie sie da in der runden Halle stehen, nackte Gottheiten.”

Fazit: Es hat Spass gemacht eine Geschichte, die man nur vom Hören kennt, in die Realität zu holen und Orte zu erkunden, die man nur durch die Fantasie kennt. Habt ihr eine Lieblingsgeschichte, der ihr schon immer mal nachgehen wolltet?

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5 Kommentare

  1. Hi Masha,
    ich würde mich sehr gerne mal in Prag auf die Spuren von Kafka begeben. Ich mag seinen Erzählstil total, habe alles von ihm gelesen und obwohl er es nie explizit so geschrieben hat, deutet vieles daraufhin, dass die Orte die er beschreibt in Prag sind… Beispielsweise gibt es Deutungen, wo die Prager Burg die Vorlage für das Schloss ist… Ich finde das voll cool dass du so einen Guide gemacht hast und würde mich über weitere freuen, LG Merle

  2. Hallo Masha,

    oh das hört sich wunderbar an! Ich liebe es tatsächlich auch und bin daher immer besonders gern in London unterwegs :)
    Ulysses habe ich (leider) noch nicht gelesen, sollte ich vielleicht mal nachholen :) aber Dublin ist auf jeden Fall auch so eine wunderschöne Stadt!

    Liebe Grüße,
    Fiona

  3. Leider nur eine Fiktive und daher unmöglich in “Real Life” nachzugehen, aber in meinem Kopf immer wieder landet: Die Königsmörder Chronik von Patrick Rothfuss. By the way eines der besten Bücher, welches ich nach Tolkien, Rowling und Co lesen durfte :-)