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fashion editorial shoot in Iceland | plane crash | short story | style: glamorous, party, sequins, winter Masha Sedgwick | Berlin | Germany | Fashion | Plane| Outfit

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„Was ist hier los?“ höre ich mich selbst fragen. Meine Stimme klingt ängstlich und ein bisschen krächzend.   Spätestens bei der panikgetränkten Stimme der Stewardess mit der Bitte, dass wir bitte wieder unsere Plätze einnehmen und uns anschnallen sollten, kroch die Angst in mir hoch und lähmte mich. Ich sehe die Panik in den Augen der Passagiere und höre sie in ihrem Stimmenwirrwarr.   Keiner weiss so richtig was los ist, doch wir alle ahnen es. Und wir ahnen nichts Gutes.   Ich hielt mich eigentlich immer für einen besonnenen Menschen, doch die Panik, die mich überkommt scheint mein Denken zu lähmen und ich kann nur einen Gedanken fassen: wir stürzen ab.   Es ist der Moment des Verstehens, der mich grade die größte Mühe kostet. Ich will es nicht wahrhaben, ich will es nicht verstehen. Ich will nicht, dass das passiert.

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Kleine Turbulenzen passen noch in meinen Toleranzbereich, ja, aber ein Absturz? Das kann doch nicht sein? Sowas passiert doch immer nur in Filmen und nicht im echten Leben, oder? Sowas passiert doch immer nur Anderen. Das passiert doch nicht grade wirklich?   Viele Male bin ich geflogen, weite Strecken und ausgerechnet jetzt, auf dem Weg nach New York zu dieser angesagten Party, soll es nun vorbei sein?

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Ich schließe die Augen, nur für einen kurzen Moment, der so schnell vergeht wie ein Wimperschlag. Mein Herz pocht so schnell, dass ich glaube, dass es gleich explodiert und ich zittere am ganzen Körper.   Mein Atem stockt und ich bin wie gelähmt. Ich habe die Situation nicht nur verstanden, ich versuche sie zu akzeptieren. Akzeptieren bedeutet aber auch, dass ich gleich mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit sterben werde.   Es gibt keine Ausflucht. Es gibt nur noch einen Weg und der führt schnurstracks in den Abgrund.

 

nude dress: Dawid Tomaszewski sequin dress & gloves: SLY 010 overknees: Vic Matie vest: Edited

8 Ich nehme meine Umgebung in Zeitlupe wahr. Mein Körper ist starr und es fühlt sich ein bisschen so an, als würde ich die Situation von außen beobachten. Ich glaube ich weine, aber ich merke es nicht einmal.

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7 Erst jetzt realisiere ich die Panik in mir. Ich glaube ich habe geschrien, aber ich weiss es nicht genau. Ich habe eine beschissene Angst und nur einen Gedanken: Ich will nicht sterben.

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Es ist zu spät. Es ist zu spät für alles und nichts macht noch Sinn. Die pure Verzweiflung packt mich und ich bereue den Moment in dieses verdammte Flugzeug gestiegen zu sein. Ich bin nicht bereit.

Masha Sedgwick | Berlin | Germany | Fashion | Plane| Outfit

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Meine Sicht ist verschwommen. Ich muss an die glücklichen Erinnerungen meines Lebens denken und auch an die wichtigen.   Ich muss an Menschen denken, die ich längst vergessen habe und an Momente, die vollkommen alltäglich waren, aber eben dadurch besonders. Ich sehe mich noch mal als Kind und es ist, als würde ich diese Momente alle noch einmal durchleben. Momente, die ich schon längst vergessen hatte und Erinnerungen, die sich fast fremd anfühlen, so alt sind sie schon.   Ich krame Vergessenes wieder heraus und ich weiss plötzlich, was wirklich wichtig ist. Wenn man am Abgrund steht, dann gibt es keine Zweifel mehr, nur eine merkwürdige Gewissheit. Auch kein Bereuen, sondern nur noch die Erinnerungen, die wirklich von Bedeutung waren.

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Ich sehe meine Eltern, als sie noch jung waren und auch meine Großeltern, als sie noch unter uns waren. Ich habe ihre Gesichter ganz vergessen, doch jetzt sehe ich jede einzelne Pore, das Leuchten ihrer Augen und auch, wie ähnlich ich meiner Mutter heute sehe.   Mein Kopf zeigt mir fotografische Momentaufnahmen, die ich im nächsten Augenblick auch schon wieder vergesse und irgendwo tief in mir, finde ich ein Glück, das ich festzuhalten versuche.

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Es stimmt, was sie sagen. Wenn du dem Tod ins Gesicht blickst, dann rast dein Leben an dir vorbei. Deine schönsten und wichtigsten Momente zusammengefasst und am Ende sehe ich nur noch die Gesichter meiner Liebsten vor meinen Augen, aufgereiht in Reih und Glied. Meine Eltern, meine Familie und meine Freunde. Menschen, die mir wichtig sind und Menschen, denen ich wichtig bin.

 

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Es ist okay. Eigentlich ist Loslassen gar nicht so schwer und ich verstehe gar nicht, wovor ich eigentlich immer so eine Angst hatte. Ich habe jetzt keine Angst mehr. Ich glaube, das ist der Frieden von dem alle immer sprechen.Ich habe ihn in mir gefunden und eigentlich war er schon immer da. Er war nie weg, nur habe ich ihn in mir selbst verloren und jetzt, so kurz vorm Abschluss gefunden. Ich wehre mich nicht mehr gegen mein Schicksal.

 

1 Mama, Papa – ich liebe euch. Bitte seid nicht allzu traurig. Ich werde immer bei euch sein. Ich schließe meine Augen.

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Und wache auf.

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Ein paar von euch werden sich während des Lesens wohl gefragt haben, was das „für ein komischer Text“ ist, like WTF? Zumindest ist die Reaktion, die ich mir grade vorstelle, denn wie ihr seht ist der heutige Post ein bisschen anders geworden als sonst. Ich habe zum ersten Mal in der Geschichte des Blogs einen erfunden Text, eine Art Kurzgeschichte online gestellt. Warum? Warum nicht?   Ich träume schon lange davon noch in diesem Leben einen Roman zu schreiben, also warum nicht auch mal mit einer erfundenen Geschichte vortasten, ob mir das überhaupt liegt? Wobei ich dazusagen muss, dass es gar nicht so erfunden ist.   Die Inspiration für den Text kam zwar ganz klar aus den Bildern heraus, nicht andersherum, dennoch habe ich versucht mich in die Situation reinzudenken und das Szenario durchzuspielen auf Grundlage vom bereits Erlebten. Denn die Wahrheit ist, dass ich in meinen Erinnerungen gegraben habe und versucht habe das zu rekonstruieren, das ich schon durchlebt habe. Könnt ihr euch an schreckliche Momente eures Lebens erinnern, die sich fast wie fremde Erinnerungen anfühlen, weil ihr sie so verdrängt habt?

 

So ging es mir, als ich den Text schrieb und zurückversetzt in die Situation ist dieser Text unter großem emotionalen Druck entstanden.   Die Wahrheit ist auch, dass ich bereits zwei Mal unfreiwillig an einem Punkt in meinem Leben stand, an dem ich dachte, dass es nicht mehr weitergeht. An dem ich runtergezählt habe. Insofern ist der Text auch gleichzeitig eine intime Interpretation meiner eigenen Erinnerungen und meiner Ängste, auf die ich nicht weiter eingehen möchte. Ich hoffe ihr seid nicht allzu traurig nach dem Lesen, denn lasst euch eins gesagt sein: als ich die Augen öffnete gab es ein Leben nach Sekunde 0. Und das nutze ich seitdem.

 

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