5 Erkenntnisse aus der Paartherapie

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“Wie nah fühlt ihr euch heute?”
Mit diesem Satz startet unsere Sitzung meistens. 
1 steht für sehr distanziert. 10 für sehr nah.
Bisher hatten David und ich noch nie dieselbe Zahl genannt. Nicht zuletzt, weil wir Nähe für uns unterschiedlich interpretieren. Immerhin liegt es meistens im höheren Bereich. Das ist schon mal gut.

Als wir (genauer: ich, aber wir klingt besser) beschlossen haben zur Paartherapie zu gehen, gab es keinen konkreten Anlass. 
Ja, wir sind jetzt Eltern geworden.
Ja, wir haben jetzt viel weniger Sex.
Ja, wir haben vor allem ein einziges Gesprächsthema (unser Baby). 
Aber sind wir unglücklich? Ganz im Gegenteil.

Ich für meinen Teil habe mich David noch nie so verbunden gefühlt, wie seit der Geburt unserer Tochter. Wir waren nicht mehr nur in einer Beziehung, wir waren Partner, Verbündete, Gefährten, Krieger, die sich Seite an Seite durch den Babyalltag kämpften.
Und vielleicht war das der springende Punkt: Der Anspruch an unsere Beziehung hat sich verändert. Wir sind jetzt mehr. Wir tragen mehr Verantwortung. Nicht nur uns, sondern vor allem unserer Tochter gegenüber. Wir müssen funktionieren. 
Diese Partnerschaft muss funktionieren. 


Viele gehen zur Paartherapie – und wie ich es lieber nenne: Paar Coaching – wenn es bereits zu spät ist. Wenn Vertrauen verspielt und Dinge gesagt und getan worden sind, die sich nicht mehr zurücknehmen lassen. Warum geht man nicht früher zur Therapie? 
Wenn ich erwähne, dass David und Ich zur Paartherapie gehen, dann führt das meistens zu folgendem Gesprächsverlauf: 
1. ein erschrockener, fragender Blick.
2. Eine vorsichtige Berührung auf dem Arm oder der Schulter
3. “Aber alles ok bei euch?”
4. Mitleidvolles Gucken und ein Blick der sagt: “Du kannst gern mit mir darüber reden”. 

Dass eine Paartherapie so ein Tabuthema ist, ist wirklich sehr schade. Wäre ein Paar Coaching nämlich genauso normal, wie ein Karriere Coaching, wären wir als Gesellschaft insgesamt besser dran.  

Zu Einen, weil ich mir w i r k l i c h gewünscht hätte, meine Eltern hätten sowas mal gemacht, dann müsste ich jetzt nicht meine Kindheit aufarbeiten und es läge nicht an mir den Kreislauf der toxischen Verhaltensweisen zu durchbrechen, damit mein Kind nicht auch noch traumatisiert wird von der Scheisse, die über Generationen in meiner Familie in Sachen Erziehung verzapft wurde. 

Zum Anderen, weil ich der Überzeugung bin, dass es wirklich vielen Paaren helfen würde in ihrer gegenwärtigen Situation und zu mehr Glücksgefühlen im Alltag führen würde. 

Wir haben diese Entscheidung nie bereut. Denn obwohl wir keine richtigen Themen oder Probleme hatten, die Anlass gaben für eine Paartherapie, war es dennoch eine meiner besseren Ideen. Wir lernen uns nicht nur besser, sondern auf einer anderen Ebene besser kennen und vor allem: verstehen. David versteht jetzt viel besser, warum ich in bestimmten Situationen auf eine bestimmte Art reagiere, was genau dahintersteckt und andersherum. Denn oft verbergen sich hinter Missverständnissen Verhaltensmuster, die bereits in der Kindheit manifestiert wurden. Dahinter zu blicken und sie überhaupt als solche zu begreifen, war für uns ein Gamechanger. Seitdem akzeptiere ich, wenn David mal prokrastiniert und David unterlässt die bissigen Kommentare, wenn ich mich morgens erstmal dem Aufräumen der Wohnung widme. Die Paartherapie hat uns nicht nur geholfen uns in einer Partnerschaft als Gegenüber, sondern als hochkomplexe Menschen zu begreifen, deren Verhaltensmuster von dem eigenen abweichen – und das zu akzeptieren. 


Auch wenn eine Paartherapie nach wie vor ein Privileg ist, das wir uns gönnen können, kann ich es nur allen empfehlen, die sich als Partner auf Augenhöhe verstehen. Deswegen wird es Zeit, dass wir die Paartherapie aus der Tabu Schublade rausholen und endlich begreifen, wie viel Potenzial für unsere Beziehung rauszuholen ist. Wie viel zufriedener wir im Alltag sind, wenn wir uns von unserem Partner gesehen und verstanden fühlen. 
Schließlich ist es doch auch ganz normal, dass man zum Karriere Coaching geht. Niemand schämt sich dafür, im Gegenteil.

Ist unsere Beziehung etwa weniger wert als unsere Karriere? Warum weigern sich so viele sich auch in diesem Bereich ihres Lebens coachen zu lassen, wo wir doch auch andere Teile unseres Lebens durchoptimieren?Und warum wird die Therapie im Allgemeinen als ein Zeichen von Schwäche gedeutet, wenn es doch eigentlich ein Zeichen der Stärke ist sich seinen Herausforderungen zu stellen und daran zu arbeiten? 

In der Realität ist es doch so: im Alltag einer Beziehung sind es ja oft Kleinigkeiten, die einen am Partner vielleicht nerven. Hier mal ein blöder Kommentar, da mal eine nervige Angewohnheit. Doch die kleinen Dinge, die einem am Partner nerven, werden nicht  selten zu Trennungsgründen. Deshalb sollte man auch diese Dinge ernst nehmen und insgesamt an seiner Beziehung arbeiten, damit die Gefühle, die man für den Anderen hegt, gepflegt werden und nicht vom Alltagsstress überschattet werden.

Seit 4 Monaten gehen wir regelmäßig zur Paartherapie. Obwohl wir es als prophylaktische Vorsorgemaßnahme betrachteten, fanden wir schnell heraus, dass auch wir Themen hatten, die dringend bearbeitet werden mussten. Während unserer vielen Sitzungen hatten wir jedes Mal aufs Neue Aha-Momente und neue Erkenntnisse. Auch wenn diese niemanden überraschen dürften, weil sie doch recht nahe liegen, macht es einen großen Unterschied, wenn man sie in seinen Alltag integriert. 

1

Zeit für einander zu finden. 

Dass wir uns allein schon die Zeit nehmen zur Paartherapie zu gehen ist ein erster Schritt. Wann nehmen wir uns schon mal im Alltag 2 Stunden Zeit, in denen wir nur miteinander reden, einander zuhören und nichts anderes nebenbei machen?Doch betreutes Reden ist nur der erste Schritt. Je länger man zusammen ist, desto weniger kreativ wird man in der Ausgestaltung der gemeinsamen Paaraktivitäten. 

Regelmäßig eine Date Night zu machen, auszugehen, tolle Dinge gemeinsam zu unternehmen und schöne Erinnerungen zu schaffen ist essentiell, um eine Beziehung am Leben zu erhalten. Klar hat man im Alltag oft mehr Lust gemütlich Serien zu schauen und auf der Couch zu entspannen. Manchmal sollte man sich zwingen auch einfach mal was Richtiges zu unternehmen und Platz zu schaffen für intime Momente. Es ist so ein bisschen wie damals, als man sich überwinden musste auf eine Party zu gehen und am Ende froh über den lustigen Abend war, an den man sich bis heute erinnert. Gemeinsam bewusste, schöne Momente und nicht nur den Alltag miteinander zu verbringen, lässt eine Beziehung neu aufleben.

Hier ein paar Ideen für Quality Time Dates:

– gemeinsam einen Massage Workshop besuchen
– gemeinsam einen Handwerkskurs belegen zB. Töpfern oder etwas Anderes mit den Händen machen- Zusammen eine neue Sportart lernen (zB. Boxen, um die Streits Zuhause auf den Ring zu verlegen oder Bouldern für ein bisschen Abstand)
– generell: Konzerte, Ausstellungen und Theaterbesuche – in den Club gehen (nein, man ist nie zu alt dafür)
– Fallschirm springen 
– Streichelzoo
– Exit Game 
– Jumphouse (aber nicht übertreiben! Ich habe mir dort einen Bandscheibenvorfall zugezogen!)
– eine Boots
– oder Kanutour
– ein Picknickausflug (vielleicht in Kombination mit der Bootstour?)
– Minigolf
– Gemeinsamer Spa Tag
– Blind Dinner
– Freiluftkino
– Kartfahren 
– im Freizeitpark Achterbahn fahren und das Adrenalin genießen

2


Jeden Tag kleine, kurze Umarmungen 

Wie lang ist die letzte bewusste Umarmung her? Sich regelmäßig am Tag bewusst zu umarmen, Nähe und Zärtlichkeit auszutauschen, ist der Kleber, der aus Zwei Komponenten eine Einheit schafft. Sich miteinander zu verbinden, schafft Bindung. Und ehrlicherweise ist es auch einfach schön sich anlasslos geliebt und geborgen zu fühlen. 

3


Klar aussprechen, was man will und nicht vom Partner erwarten, dass er es interpretieren muss. 

Tatsächlich ist das nicht selten eine Herausforderung: klar zu kommunizieren was man (selbst/vom Anderen) will. Stattdessen wird unklar gesprochen und viel erwartet. Warum also nicht andersherum? Wozu die Andeutungen, wenn wir doch der Sprache mächtig sind. Wenn der Partner nicht erst Rätselraten muss, hilft das Frust und Enttäuschung auf beiden Seiten zu vermeiden. Es setzt aber auch voraus, dass man auch tatsächlich weiss, was man will. Und wenn man es selbst schon nicht weiss, wie soll der Andere das dann bitte wissen?


4

Den Anderen sehen und wahrnehmen. 

Wer kennt es nicht: man selbst macht alles, der Partner macht gar nichts. Ok, das war ein bisschen überspitzt, aber oft sieht man wirklich nur das, was man selbst im Alltag leistet und übersieht dabei, was das Gegenüber leistet. 

Da vieles mit der Zeit so selbstverständlich ist, dass es unsichtbar wird, hilft auch hier das Gespräch – und zwar nicht erst dann, wenn man bereits wütend ist. Dabei soll es auch nicht zu einem Aufwiegen von “Ich habe das und du hast das” eskalieren, sondern einfach nur der Anerkennung dessen, was der Andere leistet. Bestenfalls ohne den Dingen einen Wert zu geben (meine Aufgabe ist x-mal wert wie deine Aufgabe), sondern um das Unsichtbare ins Bewusste zu rücken. Denn die Anerkennung der täglichen Leistung ist eine unheimliche wichtige Komponente in einer Beziehung und nicht selten der Grund, warum viele Beziehungen scheitern.

5



Dem Anderen eine gute Zeit gönnen

Das klingt erstmal selbstverständlich, oder? Ist es aber nicht. In vielen Beziehungen ist es so, dass der Partner eine Art Eifersucht empfindet, wenn der Andere eine gute Zeit hat – ohne den Anderen. 
Tatsächlich war das bei mir und David so ein Thema, schließlich nahm er sich einfach so Zeit für sich?! Ich blieb dagegen Zuhause, arbeitete, kümmerte mich um Haushalt und Baby. In unseren Sitzungen haben wir dann erarbeitet, warum es mir so schwer fällt meine eigenen Verpflichtungen beiseite zu schieben und mir nicht auch mal eine Auszeit zu gönnen, in denen David die gemeinsamen Aufgaben übernimmt. 
Ich habe es einfach nicht gemacht und wurde verbittert. Dabei hätte er mir den Rücken dafür ebenfalls gestärkt. Ich musste also einsehen: nur weil ich es mir nicht gönne, heisst es nicht, dass er sich nicht auch Freizeit und Fußball gönnen darf. Ich musste meine negativen Gefühle gehen lassen und mir stattdessen etwas suchen, das mich ebenfalls so erfüllt und einfach Me-Time ist. 

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2 Kommentare

  1. Auch ich finde, dass Therapie keine Schwäche ist. Vor einigen Jahren haben mein Mann und ich eine Therapie gemacht und wir haben so viel Positives daraus mitgenommen. Ich halte den Tipp, sich klar auszusprechen, für sehr wichtig, da man sonst schnell etwas in die Worte des anderen hineininterpretieren kann.

  2. Hallo Masha,
    Wie macht ihr das mit der Kinderbetreuung bei gemeinsamen Aktivitäten? Habt ihr Omis und Opis, die sich dann um die kleine Maus kümmern? Das ist immer eine große Herausforderung..